Agrapha

Agrapha (altgriechisch Άγραφα wörtl.: die Ungeschriebenen, singular: Agraphon) nennt man Aussprüche von Jesus von Nazareth („Herrenworte“), die nicht in den Evangelien des Neuen Testamentes enthalten sind, aber in anderen urchristlichen oder altkirchlichen Schriften (etwa in den Kirchenvätern) oder in anderen Schriftfragmenten überliefert wurden. Der Apostel Paulus zitiert mehrfach Jesusworte, die nicht aus den Evangelien bekannt sind (Apg 20,35 EU; 1 Thess 4,15–17 EU u.ö.).

Der Ausdruck „Agrapha“ wurde 1776 vom deutschen Gelehrten Johann Gottfried Körner eingeführt. Kraft des Standardwerks von Alfred Resch (1889) setzte er sich durch.[1]

Definition

Anthony Maas definierte ein Agraphon mithilfe der folgenden drei Kriterien:[2]

  • Es muss ein echtes „Wort“ (im Sinne eines realen Ausspruches) sein, kein Diskurs, keine Abhandlung oder Predigt (wie z. B. die Pistis Sophia).
  • Es darf keine einfache Variante zu einem bereits aus dem Neuen Testament bekannten Ausspruch sein.
  • Es muss ein authentischer Ausspruch Jesu sein (es gibt z. B. Kirchenväterstellen, die Jesus fälschlicherweise alttestamentliche Zitate oder zu ihrer Zeit bekannte Sprichwörter in den Mund legen). Um als authentisches Jesuswort in Betracht gezogen zu werden, muss ein Agraphon externe und interne Kriterien erfüllen:[2]
    • Extern: Die Quelle des Agraphon muss in einer realistischen Nähe zum historischen Jesus stehen. Für den im frühen 2. Jahrhundert schreibenden Papias kann z. B. angenommen werden, dass er Zugang zu authentischem Jesusmaterial hatte, das nicht in die Evangelien aufgenommen wurde. Für die im 3. Jahrhundert geschriebene Pistis Sophia ist das dagegen weit unwahrscheinlicher.
    • Intern: Das Agraphon darf inhaltlich dem bekannten kanonischen Material nicht diametral entgegenstehen, wohingegen Ergänzungen, Nebenaspekte, Schwerpunktverlagerungen oder zusätzliche Gedanken durchaus möglich sind.

Aus diesen Gründen lassen kritische Forscher wie Joachim Jeremias oder William Morrice (siehe Literaturliste) nur einige wenige Dutzend der mehreren hundert Agrapha als tatsächliche Jesusworte gelten.

Otfried Hofius lässt nur Sprüche des irdischen Jesus gelten. Er schließt folgende Fälle aus:

  • Alle außerevangelischen Texte, die als Worte des präexistenten Christus oder als Worte des Auferstandenen oder des erhöhten Herrn stilisiert sind.
  • Alttestamentliche Prophetensprüche und neutestamentliche Apostelworte, die ein Autor als Herrenworte einführt, weil der präexistente Christus durch den Mund der Propheten oder Apostel geredet habe.
  • Fälle, in denen ein in den kanonischen Evangelien enthaltenes Wort nur frei zitiert wird oder nur in einer äußerlich abweichenden Gestalt wiedergegeben wird.[3]

Literatur

  • Alfred Resch (Hrsg.): Agrapha. Aussercanonische Schriftfragmente. Gesammelt und untersucht.http://vorlage_digitalisat.test/1%3D%7B%7B%7B1%7D%7D%7D~GB%3D~IA%3Dtexteunduntersuc30akad~MDZ%3D%0A~SZ%3Dn518~doppelseitig%3D~LT%3D%27%27Agrapha.%20Aussercanonische%20Schriftfragmente%27%27.%20Gesammelt%20und%20untersucht.~PUR%3D In: Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur N.F. Bd. 15., H. 3/4 (Bd. 30), 2. völlig neu bearbeitete durch alttestamentliche Agrapha vermehrte Auflage, Leipzig 1906. Unveränderter reprographischer Nachdruck der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, Darmstadt 1967, ISSN 0082-3589.
  • Anthony Maas: Agrapha. In: Catholic Encyclopedia, Band 1, Robert Appleton Company, New York 1907.
  • William G. Morrice: Hidden Sayings of Jesus. Words attributed to Jesus outside the four Gospels. SPCK, London 1997, ISBN 0-281-04922-X.
  • Joachim Jeremias: Unbekannte Jesusworte. 4. unveränderte Auflage. Unveränderter Nachdruck der 3. unter Mitwirkung von Otfried Hofius völlig neu bearbeiteten Auflage. Mohn, Gütersloh 1965.
  • Christoph Markschies, Jens Schröter u. a. (Hrsg.): Antike christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. Band I: Evangelien und Verwandtes (zwei Teilbände). 7. Auflage der von Edgar Hennecke begründeten und von Wilhelm Schneemelcher fortgeführten Sammlung der neutestamentlichen Apokryphen. Mohr Siebeck, Tübingen 2012, ISBN 978-3-16-150087-9, S. 181–208.

Weblinks

  • Ben C. Smith: The agrapha. 12. Juni 2010, abgerufen am 6. Juni 2017 (englisch, Liste von Agrapha). 

Einzelnachweise

  1. Alfred Resch: Agrapha: aussercanonische Evangelien-Fragmente in möglichster Vollständigkeit zusammengestellt und quellenkritisch untersucht. 1. Auflage, 1889 (online)
  2. a b Anthony Maas: Agrapha. In: Catholic Encyclopedia, Band 1, Robert Appleton Company, New York 1907.
  3. Markschies, Apokryphen I,1, S. 185.