Lina Khan

Lina Khan, 2021

Lina M. Khan (* 3. März 1989 in London) ist eine US-amerikanische Rechtswissenschaftlerin und Vorsitzende der Federal Trade Commission. Während ihres Studiums an der Yale Law School wurde sie durch ihre Arbeit im Kartell- und Wettbewerbsrecht in den Vereinigten Staaten bekannt, nachdem sie den einflussreichen Aufsatz Amazon’s Antitrust Paradox veröffentlicht hatte. Sie wurde im März 2021 von Präsident Joe Biden in die Trade Commission berufen und ist seit Juni 2021 im Amt. Sie ist außerdem außerordentliche Professorin für Recht an der Columbia Law School.

Frühes Leben und Ausbildung

Khan wurde am 3. März 1989 als Tochter pakistanischer Eltern in London, Vereinigtes Königreich, geboren.[1] Khan zog mit ihnen in die Vereinigten Staaten, als sie 11 Jahre alt war. Im Jahr 2010 machte sie ihren Abschluss am Williams College, wo sie ihre Abschlussarbeit über Hannah Arendt schrieb. Während ihrer Zeit am Williams College war Khan als Redakteurin der Studentenzeitung tätig.

Nach ihrem Abschluss arbeitete sie bei der New America Foundation, wo sie für Barry Lynn im Rahmen des Open Markets Program (Programm für offene Märkte) über Monopole forschte und schrieb.[2] Lynn war auf der Suche nach einer Forscherin ohne wirtschaftswissenschaftlichen Hintergrund und begann mit Khans Hilfe, die Marktkonsolidierung zu kritisieren. Sie erwarb 2017 einen Juris Doctor von der Yale Law School, wo sie als Redakteurin für das Yale Journal on Regulation tätig war.[1]

Akademische Laufbahn

Khan forschte und veröffentlichte bei der New America Foundation zu Fragen der Marktkonsolidierung, bis sie 2014 ein Studium an der Yale Law School aufnahm. Während ihres Studiums an der Yale Law School war Khan Co-Direktorin der Yale Mortgage Foreclosure Litigation Clinic, wo sie Hausbesitzer vertrat, die von Finanzinstituten zu Unrecht zwangsvollstreckt wurden.[3] Außerdem arbeitete sie einen Sommer lang bei Gupta Wessler, einer Kanzlei, die auf Rechtsstreitigkeiten im öffentlichen Interesse und auf der Klägerseite spezialisiert ist.[1]

Amazon’s Antitrust Paradox

Khan im Jahr 2016, als sie auf einem Podium über Amazon und das Kartellrecht sprach

Im Jahr 2017, als sie noch an der Yale Law School studierte, wurde Khan bekannt, als das Yale Law Journal ihren Artikel Amazon’s Antitrust Paradox veröffentlichte. Der Artikel erregte in amerikanischen Rechts- und Wirtschaftskreisen großes Aufsehen, und die New York Times bezeichnete ihn als „Neuordnung des jahrzehntelangen Monopolrechts“. In dem Artikel argumentierte Khan, dass der derzeitige amerikanische kartellrechtliche Rahmen, der sich darauf konzentriert, die Verbraucherpreise niedrig zu halten, den wettbewerbsfeindlichen Auswirkungen plattformbasierter Geschäftsmodelle wie dem von Amazon nicht gerecht werden kann.[4] Der Titel von Khans Artikel war eine Anspielung auf Robert Borks Buch The Antitrust Paradox aus dem Jahr 1978, in dem der von Khan kritisierte Standard des Verbraucherschutzes festgelegt wurde.[2] Sie schlug alternative Rahmen für die Kartellpolitik vor, darunter die „Wiederherstellung traditioneller kartell- und wettbewerbspolitischer Grundsätze oder die Anwendung von Verpflichtungen und Pflichten des Common Carrier“.[2]

Der Artikel wurde sowohl mit Beifall als auch mit Kritik bedacht. Im September 2018 wurde er 146.255 Mal aufgerufen und war damit laut New York Times „ein Bestseller in der Welt der juristischen Abhandlungen“. Joshua Wright, der von 2013 bis 2015 der FTC angehörte, bezeichnete ihre Arbeit als „Hipster-Kartellrecht“ und argumentierte, sie zeige „einen tiefgreifenden Mangel an Verständnis für das Modell des Verbraucherwohls und das Regelwerk der Vernunft.“ Herbert Hovenkamp, der in den Regierungen Clinton und Obama diente, schrieb, dass Khans Behauptungen „technisch undiszipliniert, nicht überprüfbar und sogar inkohärent“ seien und dass ihre Arbeit „niemals erklärt, wie ein nicht produzierender Einzelhändler wie Amazon seine Investitionen in eine Preisgestaltung unter den Kosten durch spätere Preiserhöhungen wieder hereinholen könnte, und sogar bestreitet, dass eine Preiserhöhung auf ein höheres Niveau überhaupt ein Teil der Strategie sein muss, was darauf hindeutet, dass sie Raubbau mit Investitionen verwechselt“.[5]

Open Markets Institute und Columbia Law School

Nach Abschluss ihres Studiums arbeitete Khan als Rechtsdirektorin beim Open Markets Institute. Das Institut trennte sich von New America, nachdem Khan und ihr Team die Marktmacht von Google kritisiert hatten, woraufhin Google, ein Geldgeber von New America, Druck ausübte.[6] Während ihrer Zeit bei OMI traf sich Khan mit Senatorin Elizabeth Warren, um Ideen für eine antimonopolistische Politik zu diskutieren.[7]

Khan kam als akademische Mitarbeiterin an die Columbia Law School, wo sie im Kartellrecht und in der Wettbewerbspolitik forschte und lehrte, insbesondere im Zusammenhang mit digitalen Plattformen. Sie veröffentlichte in der Columbia Law Review den Artikel The Separation of Platforms and Commerce, in dem sie für eine strukturelle Trennung plädiert, die es marktbeherrschenden Zwischenhändlern verbietet, in Geschäftszweige einzutreten, die sie in direkten Wettbewerb mit den von ihren Netzwerken abhängigen Unternehmen bringen.[8] Im Juli 2020 trat Khan als außerordentliche Professorin für Recht in die Fakultät der Universität ein.[9]

Khan hat sich selbst als Mitglied der New Brandeis-Bewegung bezeichnet, einer politischen Bewegung, die eine Wiederbelebung der Kartellrechtsdurchsetzung anstrebt.[10]

Im Staatsdienst

Im Jahr 2018 arbeitete Khan als Legal Fellow bei der Federal Trade Commission im Büro von Kommissionsmitglied Rohit Chopra. Seit 2019 ist Khan als Beraterin des Unterausschusses für Kartell-, Handels- und Verwaltungsrecht des Justizausschusses des Repräsentantenhauses tätig, wo sie die Untersuchung des Kongresses zu digitalen Märkten leitet.

Vorsitzende der Federal Trade Commission (FTC)

Am 22. März 2021 kündigte Präsident Joe Biden an, dass er Khan als Kommissarin der Federal Trade Commission nominieren würde.[11] Am 15. Juni 2021 wurde ihre Nominierung vom Senat mit 69 zu 28 Stimmen bestätigt. Khan wurde mit parteiübergreifender Unterstützung bestätigt, was vor allem darauf zurückzuführen war, dass ihre „einflussreichen Anti-Amazon-Standpunkte“ von den Mitgliedern des Kongresses weitgehend geteilt wurden. Präsident Biden ernannte sie daraufhin zur Vorsitzenden der FTC.[12] Mit ihrem Amtsantritt wurde Khan nach Dennis Yao (der von 1991 bis 1994 im Amt war) und ihrem früheren Chef Rohit Chopra (der von 2018 bis heute im Amt ist) die dritte asiatisch-amerikanische Person, die der FTC angehört.[13]

Antrag auf Amtsenthebung

Nach ihrer Ernennung zur Vorsitzenden reichten sowohl Amazon.com Inc.[14] als auch Facebook Petitionen bei der FTC ein, um ihre Abberufung von den Ermittlungen gegen diese Unternehmen zu erwirken, da sie aufgrund ihrer früheren Kritik an den Unternehmen nicht unparteiisch sein könne. Laut der Rechtswissenschaftlerin Eleanor Fox sind die Anforderungen für eine Abberufung jedoch sehr hoch und es ist unwahrscheinlich, dass Khan sie erfüllen wird. Senatorin Elizabeth Warren und andere Befürworter Khans argumentierten, dass die Forderungen nach einer Amtsenthebung auf einen Versuch dieser Unternehmen hinauslaufen, Khan einzuschüchtern, um die behördliche Kontrolle einzuschränken.[15]

Preise und Auszeichnungen

Für Amazon’s Antitrust Paradox wurde Khan mit dem Antitrust Writing Award for „Best Academic Unilateral Conduct Article“ 2018, dem Israel H. Peres Prize der Yale Law School und dem Michael Egger Prize des Yale Law Journal ausgezeichnet.[3]

Im Jahr 2018 bezeichnete Politico Khan als „Anführerin einer neuen Schule des Kartelldenkens“ als Teil seiner „Politico 50“-Liste einflussreicher Denker.[3] Das New York Magazine bezeichnete sie als „unbestreitbar die mächtigste Figur in der Anti-Monopol-Avantgarde“.[16] Außerdem wurde sie in die Liste der „Global Thinkers“ von Foreign Policy, die „Top 50 Thinkers“ von Prospect,[17] die WIRED25 von Wired, die National Journal 50, die Liste der einflussreichsten Frauen von Washingtonian und die „Next Generation Leaders“ von Time aufgenommen.[18] Khans Kommentare wurden in The American Prospect, Quartz, Salon und The New Republic veröffentlicht.

Khans wissenschaftliche Arbeit hat weltweit große öffentliche Aufmerksamkeit erregt. Sie wurde von The Washington Post, Washington Monthly, The Atlantic, The New York Times, Wired, The Financial Times, Time, Manager Magazin,[19] El País und Le Figaro porträtiert.

Privatleben

Khan ist mit dem Kardiologen Shah Ali verheiratet.[1]

Veröffentlichungen

  • Amazon’s Antitrust Paradox. In: The Yale Law Journal. Band 126, Nr. 3, 28. Januar 2016, ISSN 0044-0094, S. 710–805, JSTOR:44863332 (yalelawjournal.org [abgerufen am 11. Januar 2022]). 
  • The New Brandeis Movement: America’s Antimonopoly Debate. In: Journal of European Competition Law & Practice. 9. Jahrgang, 1. März 2018, S. 131–132. 
  • The Ideological Roots of America’s Market Power Problem. A Response To Introduction: Unlocking Antitrust Enforcement. Jonathan B. Baker, Jonathan Sallet & Fiona Scott Morton. 24 May 2018. In: The Yale Law Journal. Forum. Band 127, 4. Juni 2018, ISSN 0044-0094, S. 960–979 (englisch, yalelawjournal.org [PDF; 606 kB; abgerufen am 15. Januar 2022]). 
  • Sources of Tech Platform Power. (PDF) In: Georgetown Law Technology Review. Juli 2018, abgerufen am 11. Januar 2022 (englisch). 
  • The Separation of Platforms and Commerce. (PDF) In: Columbia Law Review. Mai 2019, abgerufen am 11. Januar 2022 (englisch). 
  • Competition Issues in Digital Markets. (PDF) In: Competition Law & Policy Debate. Juli 2019, abgerufen am 11. Januar 2022 (englisch). 
  • Comment on Daniel A. Crane: A Premature Postmortem on the Chicago School of Antitrust. In: Business History Review. 93. Jahrgang, Nr. 4, 2019, S. 777–779. 
  • The End of Antitrust History Revisited [reviews]. (PDF; 288 kB) In: Harvard Law Review. März 2020, abgerufen am 11. Januar 2022 (englisch). 

Weblinks

Commons: Lina M. Khan – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  • Lina Khan offizielle Website. In: linamkhan.com. Abgerufen am 7. Januar 2022 (englisch). 

Einzelnachweise

  1. a b c d Lina Khan FTC Commissioner Nominee Questionnaire and Resumé. (PDF) In: commerce.senate.gov. 28. März 2021, abgerufen am 11. Januar 2022 (englisch). 
  2. a b c Sheelah Kolhatkar: Lina Khan’s Battle to Rein in Big Tech. In: newyorker.com. 25. November 2021, abgerufen am 11. Januar 2022 (englisch). 
  3. a b c Source of the Week Lina Khan (Memento vom 25. Februar 2019 im Internet Archive)
  4. mjm/dpa: Amazon greift neue Chefin der US-Wettbewerbsbehörde an. In: Der Spiegel. 30. Juni 2021, abgerufen am 11. Januar 2022. 
  5. Herbert J. Hovenkamp: Whatever Did Happen to the Antitrust Movement? In: scholarship.law.upenn.edu. 23. Februar 2018, abgerufen am 11. Januar 2022 (englisch). 
  6. Robinson Meyer: How to Fight Amazon (Before You Turn 29). In: theatlantic.com. 12. Juni 2018, abgerufen am 11. Januar 2022 (englisch). 
  7. Sheelah Kolhatkar: How Elizabeth Warren Came Up with a Plan to Break Up Big Tech. In: newyorker.com. 20. August 2019, abgerufen am 11. Januar 2022 (englisch). 
  8. Columbia Law Review: THE SEPARATION OF PLATFORMS AND COMMERCE - Columbia Law Review. In: columbialawreview.org. 26. Dezember 2017, abgerufen am 11. Januar 2022 (englisch). 
  9. Antitrust Scholar Lina Khan Joins Faculty. In: law.columbia.edu. 2. Dezember 2020, abgerufen am 11. Januar 2022 (englisch). 
  10. Lina Khan: New Brandeis Movement: America’s Antimonopoly Debate. In: academic.oup.com. 1. März 2018, abgerufen am 11. Januar 2022 (englisch). 
  11. Makena Kelly: Biden to nominate tech antitrust pioneer Lina Khan for FTC commissioner. In: theverge.com. 22. März 2021, abgerufen am 11. Januar 2022 (englisch). 
  12. Russell Brandom: Tech antitrust pioneer Lina Khan will officially lead the FTC. In: theverge.com. 15. Juni 2021, abgerufen am 11. Januar 2022 (englisch). 
  13. Emily Birnbaum: What to watch at Lina Khan’s confirmation hearing. In: politico.com. 21. April 2021, abgerufen am 11. Januar 2022 (englisch). 
  14. Russell Brandom: Amazon says new FTC chair shouldn’t regulate it because she’s too mean. In: theverge.com. 30. Juni 2021, abgerufen am 11. Januar 2022 (englisch). 
  15. Andrew Wyrich: Democratic senators blast Amazon, Facebook’s efforts to ‘bully’ FTC over antitrust case. In: dailydot.com. 5. August 2021, abgerufen am 11. Januar 2022 (englisch). 
  16. Nancy Scola: Lina Khan Isn’t Worried About Going Too Far. In: nymag.com. 27. Oktober 2021, abgerufen am 11. Januar 2022 (englisch). 
  17. The world’s top 50 thinkers 2019. In: prospectmagazine.co.uk. 16. Juli 2018, abgerufen am 11. Januar 2022. 
  18. Alana Semuels: This Legal Scholar Has Some Bold Ideas For How to Take on Major Companies Like Amazon. In: time.com. 10. Oktober 2019, abgerufen am 11. Januar 2022 (englisch). 
  19. manager magazin: Lina Khan: Die Jägerin der Silicon-Valley-Monopole bekommt Macht in Washington. In: manager-magazin.de. 11. März 2021, abgerufen am 11. Januar 2022. 
Normdaten (Person): LCCN: no2024021780 | Wikipedia-Personensuche | Kein GND-Personendatensatz. Letzte Überprüfung: 12. Januar 2022.
Personendaten
NAME Khan, Lina
ALTERNATIVNAMEN Khan, Lina M.
KURZBESCHREIBUNG US-amerikanische Rechtswissenschaftlerin und Vorsitzende der Federal Trade Commission
GEBURTSDATUM 3. März 1989
GEBURTSORT London