Weierstraßscher Produktsatz

Der weierstraßsche Produktsatz für C {\displaystyle \mathbb {C} } besagt, dass zu einer vorgegebenen Nullstellenverteilung in C {\displaystyle \mathbb {C} } eine holomorphe Funktion mit genau diesen Nullstellen existiert. Die Funktion kann als sogenanntes Weierstraß-Produkt explizit konstruiert werden. Der Satz wurde 1876 von Karl Weierstraß gefunden.

Motivation

Zu endlich vielen Nullstellen a 1 , a n C {\displaystyle a_{1},\dots a_{n}\;\in \mathbb {C} } kann man sofort ein Polynom hinschreiben, welches das gestellte Problem löst, beispielsweise ( 1 z a 1 ) ( 1 z a n ) {\displaystyle \left(1-{\frac {z}{a_{1}}}\right)\cdots \left(1-{\frac {z}{a_{n}}}\right)} . Im Falle (abzählbar) unendlich vieler Nullstellen wird das Produkt im Allgemeinen nicht mehr konvergieren. Ausgehend von der Identität 1 z = exp ( log ( 1 z ) ) = exp ( k = 1 z k k ) , z C , | z | < 1 , {\displaystyle 1-z=\exp(\log(1-z))=\exp \left(-\sum _{k=1}^{\infty }{\frac {z^{k}}{k}}\right),\quad z\in \mathbb {C} ,|z|<1,} führte Weierstraß deshalb "konvergenzerzeugende" Faktoren ein, indem er die Reihenentwicklung abbrach und Faktoren E n ( z ) := ( 1 z ) exp ( k = 1 n z k k ) {\displaystyle E_{n}(z):=(1-z)\exp \left(\sum _{k=1}^{n}{\frac {z^{k}}{k}}\right)} definierte. E n {\displaystyle E_{n}} hat nur eine Nullstelle bei 1 {\displaystyle 1} , kann aber im Gegensatz zu 1 z {\displaystyle 1-z} auf jeder kompakten Teilmenge des Einheitskreises beliebig nahe an 1 {\displaystyle 1} liegen, sofern n {\displaystyle n} groß genug gewählt wird. Dadurch kann auch die Konvergenz eines unendlichen Produktes erreicht werden.

Weierstraß-Produkt

Es sei D {\displaystyle D} ein positiver Divisor im Bereich Ω C {\displaystyle \Omega \subseteq \mathbb {C} } und a k {\displaystyle a_{k}} eine so gewählte Folge, dass D = D ( 0 ) 0 + k a k {\displaystyle D=D(0)\cdot 0+\sum _{k}a_{k}} . Das heißt, die Folge durchläuft mit Ausnahme des Nullpunktes alle Punkte des Trägers von D {\displaystyle D} mit der nötigen Multiplizität. Sie heißt die zum Divisor D {\displaystyle D} gehörende Folge. Ein Produkt z D ( 0 ) k 1 f k ( z ) {\displaystyle z^{D(0)}\prod _{k\geq 1}f_{k}(z)} heißt Weierstrass-Produkt zum Divisor D {\displaystyle D} , falls gilt:

  • f k {\displaystyle f_{k}} holomorph in Ω {\displaystyle \Omega }
  • f k {\displaystyle f_{k}} hat genau eine Nullstelle, und zwar in a k {\displaystyle a_{k}} und von der Multiplizität 1 {\displaystyle 1}
  • Das Produkt k f k {\displaystyle \textstyle \prod _{k}f_{k}} konvergiert normal auf jeder kompakten Teilmenge von Ω {\displaystyle \Omega } .

Produktsatz in ℂ

Zu jedem positiven Divisor D {\displaystyle D} in C {\displaystyle \mathbb {C} } existieren Weierstrass-Produkte der Form z D ( 0 ) k 1 E k 1 ( z a k ) {\displaystyle z^{D(0)}\prod _{k\geq 1}E_{k-1}\left({\frac {z}{a_{k}}}\right)} . Dabei sei a k {\displaystyle a_{k}} die zum Divisor D {\displaystyle D} gehörende Folge.

Folgerungen in ℂ

  • Zu jedem Divisor gibt es eine meromorphe Funktion mit den dadurch vorgegebenen Null- und Polstellen. Jeder Divisor ist ein Hauptdivisor.
  • Zu jeder meromorphen Funktion h {\displaystyle h} gibt es zwei holomorphe Funktionen f , g {\displaystyle f,g} ohne gemeinsame Nullstellen derart, dass h = f / g {\displaystyle h=f/g} . Insbesondere ist der Körper der meromorphen Funktionen der Quotientenkörper des Integritätsrings der holomorphen Funktionen.
  • Im Ring der holomorphen Funktionen besitzt jede nicht-leere Teilmenge einen größten gemeinsamen Teiler, obwohl der Ring nicht faktoriell ist.

Verallgemeinerung für beliebige Bereiche

Es sei Ω C {\displaystyle \Omega \subseteq \mathbb {C} } ein Bereich und D {\displaystyle D} ein positiver Divisor auf Ω {\displaystyle \Omega } mit Träger T {\displaystyle T} und es bezeichne T := T ¯ T {\displaystyle T':={\overline {T}}\!\setminus \!T} die Menge aller Häufungspunkte von T {\displaystyle T} in C {\displaystyle \mathbb {C} } . Dann existieren zum Divisor D {\displaystyle D} Weierstraß-Produkte in C T {\displaystyle \mathbb {C} \!\setminus \!T'} . Sie konvergieren im Allgemeinen also auf einem größeren Bereich als Ω {\displaystyle \Omega } .

Verallgemeinerung für Steinsche Mannigfaltigkeiten

Eine erste Verallgemeinerung des Produktsatzes für andere komplexe Mannigfaltigkeiten gelang 1895 Pierre Cousin, der den Satz für Zylindergebiete im C n {\displaystyle \mathbb {C} ^{n}} bewies. Aus diesem Grund wird die Frage, ob zu einem vorgegebenen Divisor eine passende meromorphe Funktion konstruiert werden kann, auch als Cousin-Problem bezeichnet.

Jean-Pierre Serre löste 1953 das Cousin-Problem endgültig und zeigte: In einer Steinschen Mannigfaltigkeit X {\displaystyle X} ist ein Divisor genau dann der Divisor einer meromorphen Funktion, wenn seine Chernsche Kohomologieklasse in H 2 ( X , Z ) {\displaystyle H^{2}(X,\mathbb {Z} )} verschwindet. Insbesondere ist in einer Steinschen Mannigfaltigkeit mit H 2 ( X , Z ) = 0 {\displaystyle H^{2}(X,\mathbb {Z} )=0} jeder Divisor ein Hauptdivisor. Dies ist die unmittelbare Folgerung daraus, dass in Steinschen Mannigfaltigkeiten folgende Sequenz exakt ist, wobei D {\displaystyle {\mathcal {D}}} die Garbe der Divisoren bezeichnet:

0 O ( X ) M ( X ) D ( X ) H 2 ( X , Z ) 0 {\displaystyle 0\to {\mathcal {O}}^{*}(X)\to {\mathcal {M}}^{*}(X)\to {\mathcal {D}}(X)\rightarrow H^{2}(X,\mathbb {Z} )\to 0}

Literatur

  • Reinhold Remmert, Georg Schumacher: Funktionentheorie 2. Springer, Berlin 2007, ISBN 978-3-540-57052-3.
  • Hans Grauert, Reinhold Remmert: Theory of Stein Spaces. Springer, Berlin 2004, ISBN 3-540-00373-8.