Das Pettis-Integral ist ein nach Billy James Pettis benannter Begriff aus dem mathematischen Teilgebiet der Funktionalanalysis. Es handelt sich um ein Integral für Funktionen auf einem Maßraum mit Werten in einem Banachraum. Ist der Banachraum gleich dem eindimensionalen Raum
, so erhält man das übliche Integral reellwertiger Funktionen auf dem Maßraum. Das Pettis-Integral verallgemeinert aber nicht nur das Integral reellwertiger Funktionen, sondern auch das Bochner-Integral und das Birkhoff-Integral, welche ebenfalls Integrale Banachraum-wertiger Funktionen sind.
Konstruktion
Wir gehen von einem vollständigen Maßraum
mit einem endlichen, positiven Maß
aus und wollen für Funktionen
mit Werten in einem Banachraum
ein Integral definieren. Für die im Folgenden beschriebene Konstruktion nutzen wir aus, dass
für jedes
aus dem Dualraum
eine reellwertige Funktion
ist und dass maßtheoretische Begriffe für solche Funktionen bereits definiert sind. Wir nennen
schwach-messbar, wenn
für jedes
eine messbare Funktion ist. Dagegen nennt man
wie üblich messbar, wenn das Urbild jeder offenen Menge aus
ist. Für die Beziehung dieser beiden Messbarkeitsbegriffe siehe den Messbarkeitssatz von Pettis. Schließlich nennen wir
schwach-integrierbar, wenn
für jedes
eine integrierbare Funktion ist.
Wir betrachten nun eine schwach-integrierbare Funktion
. Für jedes
ist dann
, wobei letzteres den L1-Raum über dem vorgegebenen Maßraum bezeichne, der nach dem Satz von Fischer-Riesz bzgl. der 1-Norm ein Banachraum ist. Wir erhalten damit einen linearen Operator
,
von dem man mittels des Satzes vom abgeschlossenen Graphen zeigen kann, dass er sogar stetig ist. Man kann daher den adjungierten Operator
bilden. Identifiziert man den Dualraum von L1 mittels Lp-Dualität wie üblich mit
, so erhält man einen Operator
.
Insbesondere kann man
auf charakteristische Funktionen
für messbare Mengen
anwenden.
nennt man das Dunford-Integral[1], nach Nelson Dunford, oder das Gelfand-Integral[2], nach Israel Gelfand, und schreibt
.
Stellt man sich ein Integral
einer Funktion mit Werten in
als
-Mittelung der
-Werte vor, so wird man erwarten, dass das Integral wieder in
liegt. Im Allgemeinen ist das nicht der Fall. Nun ist aber
durch die sogenannte kanonische Einbettung, daher definiert man:
Eine schwach-integrierbare Funktion
heißt Pettis-integrierbar, falls
für alle
, und man nennt
das Pettis-Integral von
über
.
Beispiele
Reflexive Räume
Ist
reflexiv, so ist
und es ist
für alle
und jede schwach-integrierbare Funktion
. Das heißt, dass jede schwach-integrierbare Funktion mit Werten in einem reflexiven Raum Pettis-integrierbar ist.
Birkhoff-Integral
Jede Birkhoff-integrierbare Funktion
ist Pettis-integrierbar und das Birkhoff-Integral stimmt mit dem Pettis-Integral überein. Daher ist das Pettis-Integral eine Verallgemeinerung des Birkhoff-Integrals.
Bochner-Integral
Jede Bochner-integrierbare Funktion
ist Pettis-integrierbar und das Bochner-Integral stimmt mit dem Pettis-Integral überein. Deshalb ist das Pettis-Integral auch eine Verallgemeinerung des Bochner-Integrals. Es gilt
- Bochner-integrierbar
Birkhoff-integrierbar
Pettis-integrierbar
schwach-integrierbar.
Pettis-integrierbar aber nicht Bochner-integrierbar
Als Maßraum betrachten wir das Einheitsintervall [0,1] mit dem Lebesgue-Maß
auf der σ-Algebra der Lebesgue-messbaren Mengen und als Banachraum den Folgenraum
der reellen Nullfolgen. Es sei
das halboffene Intervall
und
.
Jedes
ist tatsächlich eine Nullfolge. Das ist klar für
, denn es ist
und für
gibt es genau ein
mit
und daher ist
. Diese Funktion ist Pettis-integrierbar aber nicht Bochner-integrierbar. Zur Verdeutlichung obiger Konstruktionen führen wir die erforderlichen Rechnungen aus und beginnen mit der schwachen Integrierbarkeit.
Für jedes
ist nach Definition der Dualität
![{\displaystyle (\varphi \circ f)(t)=\sum _{n=1}^{\infty }v_{n}\cdot n\chi _{I_{n}}(t)}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/12cde5c2fa4112710454ebc2ad66699781a5e086)
und daher
,
denn das Intervall
hat die Länge
. Also ist
schwach-integrierbar.
Zur Bestimmung der Gelfand-Integrale betrachte
. Bezeichnen wir die L1-L∞-Dualität mit spitzen Klammern, so ist für
![{\displaystyle \langle T_{f}(g),\varphi \rangle =\langle g,S_{f}(\varphi )\rangle =\langle g,\varphi \circ f\rangle =\int _{[0,1]}g(t)(\varphi \circ f)(t)\,\mathrm {d} t=\int _{[0,1]}g(t)\sum _{n=1}^{\infty }v_{n}\cdot n\chi _{I_{n}}(t)\,\mathrm {d} t}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/83f31aed361f14a7e5800dbfadb9ffc2f07396e6)
![{\displaystyle =\sum _{n=1}^{\infty }v_{n}\cdot n\int _{[0,1]}g(t)\chi _{I_{n}}(t)\,\mathrm {d} t=\sum _{n=1}^{\infty }v_{n}\cdot n\int _{I_{n}}g(t)\,\mathrm {d} t=\langle \left(n\cdot \int _{I_{n}}g(t)\,\mathrm {d} t\right)_{n\in \mathbb {N} },(v_{n})_{n\in \mathbb {N} }\rangle =\langle \left(n\cdot \int _{I_{n}}g(t)\,\mathrm {d} t\right)_{n\in \mathbb {N} },\varphi \rangle }](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/0f0160b052616a8b9c0c32922219d364b3373899)
und man liest ab
.
Tatsächlich liegt diese Folge aber bereits in
, denn
.
Daher ist
Pettis-integrierbar.
ist aber nicht Bochner-integrierbar, denn
![{\displaystyle t\mapsto \|f(t)\|=\|(n\chi _{I_{n}}(t)\|=\sum _{n=1}^{\infty }n\chi _{I_{n}}(t)}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/1403a869fb23e2feed706ad6c5f6c11d29727980)
ist nicht integrierbar.[3]
Schwach-integrierbar aber nicht Pettis-integrierbar
Zur Konstruktion einer schwach-integrierbaren Funktion, die nicht Pettis-integrierbar ist, wandeln wir obiges Beispiel leicht ab. Wieder betrachten wir den Maßraum [0,1] mit dem Lebesgue-Maß und den Banachraum
. Die gesuchte Funktion ist
.
Für jedes
ist
![{\displaystyle (\varphi \circ f)(t)=\sum _{n=1}^{\infty }v_{n}\cdot n(n+1)\chi _{I_{n}}(t)}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/569e15567a392de5ec616c3f19ebe4ce6f13bfa3)
und daher
.
Also ist
schwach-integrierbar.
Ist
die konstante Funktion mit Wert 1, so ist für jedes
![{\displaystyle \langle T_{f}(e),\varphi \rangle =\langle e,S_{f}(\varphi )\rangle =\langle e,\varphi \circ f\rangle =\int _{[0,1]}e(t)(\varphi \circ f)(t)\,\mathrm {d} t=\int _{[0,1]}(\varphi \circ f)(t)\,\mathrm {d} t}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/fb0a0f2b4797141142309fef7a59798cdc268aa2)
.
Also ist
und das ist nicht aus
. Daher ist
nicht Pettis-integrierbar.[4]
Eigenschaften
Schwache Kompaktheit
Ist mit obigen Bezeichnungen
Pettis-integrierbar, so ist der zugehörige Operator
schwach-kompakt.
Operatoren
Es seien
ein endlicher, vollständiger Maßraum,
eine Banachraum und
Pettis-integrierbar. Ist
ein stetiger, linearer Operator zwischen Banachräumen, so ist auch
Pettis-integrierbar und es gilt
für jede messbare Menge
.[5]
Vektorraum der Pettis-integrierbaren Funktionen
Leicht zeigt man, dass Summen und skalare Vielfache Pettis-integrierbarer Funktionen wieder Pettis-integrierbar sind und dass sich das Integral linear verhält, das heißt
![{\displaystyle \int _{\Omega }(\alpha f+g)\,\mathrm {d} \mu =\alpha \int _{\Omega }f\,\mathrm {d} \mu +\int _{\Omega }g\,\mathrm {d} \mu }](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/f9f0b4e46ce5f226ec1de9c7e62f28e81dcb423f)
für Pettis-integrierbare Funktionen
und
.
Die messbaren, Pettis-integrierbaren Funktionen
bilden daher einen Vektorraum
. Die Menge der Funktionen, die μ-fast-überall den Wert
annehmen, bilden einen Untervektorraum, und den Quotientenraum nach diesem Unterraum bezeichnet man mit
. In der maßtheoretisch üblichen Sichtweise ist das der Raum der messbaren, Pettis-integrierbaren Funktionen, wobei μ-fast-überall gleiche Funktionen identifiziert werden.
Die 1-Norm für Pettis-integrierbare Funktionen
Ist mit obigen Bezeichnungen
messbar und Pettis-integrierbar, so ist
![{\displaystyle |f|_{1}:=\sup \left\{\int _{\Omega }|\varphi \circ f|\,\mathrm {d} \mu ;\,\varphi \in X',\|\varphi \|\leq 1\right\}=\sup\{T_{f}(g);\,g\in L^{\infty }(\Omega ,{\mathcal {A}},\mu ),\|g\|_{\infty }\leq 1\}}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/bf941baf35da20873ac64ebf6a87682946764454)
endlich.
ist eine Halbnorm auf
und eine Norm auf
. Dieser normierte Raum ist in der Regel nicht vollständig, die Vervollständigung sei
.
Injektives Tensorprodukt
Es seien wieder
ein endlicher, vollständiger Maßraum und
ein Banachraum. Dann ist
![{\displaystyle L^{1}(\Omega ,{\mathcal {A}},\mu )\times X\rightarrow {\overline {P_{1}}}(\Omega ,{\mathcal {A}},\mu ,X),\,(f,x)\mapsto f(\cdot )x}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/0d7b7322820988d999366a8468f680e0eebb84bc)
eine bilineare Abbildung, und es gilt
.
Diese bilineare Abbildung definiert eine lineare Abbildung auf dem Tensorprodukt
.
Vervollständigt man dieses Tensorprodukt zum injektiven Tensorprodukt, so erhält man einen isometrischen Isomorphismus
.[6]
Einzelnachweise
- ↑ Raymond A. Ryan: Introduction to Tensor Products of Banach Spaces, Springer-Verlag 2002, ISBN 1-85233-437-1, Kapitel 3.3: The Dual Space of
and the Pettis Integral. - ↑ Joseph Diestel: Geometry of Banach Spaces – Selected Topics, Lecture Notes in Mathematics 485, Springer-Verlag (1975), ISBN 3-540-07402-3, Kapitel 6, §1, Theorem 3
- ↑ Raymond A. Ryan: Introduction to Tensor Products of Banach Spaces, Springer-Verlag 2002, ISBN 1-85233-437-1, Seite 53
- ↑ Raymond A. Ryan: Introduction to Tensor Products of Banach Spaces, Springer-Verlag 2002, ISBN 1-85233-437-1, Seite 52
- ↑ Raymond A. Ryan: Introduction to Tensor Products of Banach Spaces, Springer-Verlag 2002, ISBN 1-85233-437-1, Satz 3.7
- ↑ Raymond A. Ryan: Introduction to Tensor Products of Banach Spaces, Springer-Verlag 2002, ISBN 1-85233-437-1, Satz 3.13