Gold-Vierer

Als Gold-Vierer (auch Kilian-Vierer) wurde in den Medien seit ihren Erfolgen in den 1970er Jahren die Mannschaft des Bundes Deutscher Radfahrer in der 4000-m-Mannschaftsverfolgung bezeichnet.[1]

Die Bezeichnung geht auf die vielen Goldmedaillen zurück, die die Mannschaft in verschiedenen Besetzungen bei UCI-Bahn-Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen in den 1960er und 1970er Jahren erzielte.[2] Da Gustav Kilian als Trainer in diesen Jahren über längere Zeit verantwortlich war und ihm an diesen Erfolgen ein hoher Anteil zugeschrieben wurde, war auch die Bezeichnung Kilian-Vierer gebräuchlich.

Allein von 1972 bis 1976 gewann der deutsche Vierer fünfmal die Weltmeisterschaft und errang sowohl bei den Olympischen Spielen 1972 in München wie auch bei den Spielen in Montreal die Goldmedaille.[3] Insgesamt errangen deutsche Fahrer unter Gustav Kilian in der Mannschaftsverfolgung 16 Goldmedaillen.[4] 1973 wurde der Gold-Vierer zur Mannschaft des Jahres gewählt.

Diese Erfolgsserie endete 1977 bei den Bahn-Weltmeisterschaften in St. Cristobal/Venezuela, als der als unschlagbar geltende Gold-Vierer im Finale gegen die Mannschaft der DDR verlor, die anschließend für viele Jahre die führende Rolle in der Mannschaftsverfolgung übernahm.

Bekannte Fahrer in diesem Vierer waren Udo Hempel, Günter Haritz, Jürgen Kißner, Karl Link, Peter Vonhof, Günther Schumacher, Hans Lutz, Ernst Claußmeyer, Dietrich Thurau, Rainer Podlesch, Gregor Braun und Rolf Gölz.

Eklat in Mexiko 1968

Bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko-Stadt kam es am 21. Oktober 1968 beim Finallauf des (west)-deutschen Bahnvierers mit Jürgen Kißner, Karl Link, Udo Hempel und Karl-Heinz Henrichs gegen den dänischen Vierer zu einem Vorfall, der in westdeutschen Zeitungen viel Aufsehen erregte und als „Skandal“ bezeichnet wurde. Der Fahrer Kißner hatte in der letzten Runde des Laufs seinen Mannschaftskameraden Henrichs berührt, nach seinen späteren Angaben, um eine Kollision zu vermeiden, die durch Abstimmungsprobleme innerhalb der Mannschaft drohte. Der Vierer von Trainer Kilian, der vor den Dänen weit in Führung lag, wurde daraufhin nicht nur disqualifiziert, sondern sollte nicht einmal die Silbermedaille erhalten. Als man der italienischen Mannschaft antrug, die Silbermedaille in Empfang zu nehmen, lehnte diese ab.[5]

Kißner stammte ursprünglich aus der DDR, hatte sich vier Jahre zuvor in Köln von seiner Mannschaft abgesetzt und war in Westdeutschland geblieben. Da einer der Schiedsrichter bei den Olympischen Spielen, Jürgen Gallinge, aus der DDR stammte, vermuteten die bundesdeutschen Medien, dieser habe Kißners Verhalten „aus Rache für Köln“ sanktioniert. In der „Jury d'Appell“ wiederum, die als zweite Instanz die Entscheidung der Wettkampfrichter bestätigte, saß mit Heinz Dietrich ein weiterer Sportfunktionär aus der DDR. Er war Generalsekretär des Deutschen Radsport-Verbandes der DDR und Leiter jener Mannschaft gewesen, aus der sich Kißner 1964 entfernt hatte. Manche Kommentatoren kritisierten die Vertreter des Bundes Deutscher Radfahrer scharf, weil diese im Vorfeld eine Zusammensetzung der Jurys überwiegend aus Vertretern des Ostblocks nicht verhindert hätten.[4] Kißner selbst wurde wegen der verlorenen Goldmedaille von westdeutschen Radsport-Fans als „Verräter“ und „Zonenschwein“ beschimpft.

Tatsächlich erfolgte zumindest die Disqualifikation formal zu Recht, wenn auch nicht die Verweigerung der Silbermedaille, die der Vierer mit dem Erreichen des Finales theoretisch schon errungen hatte. Die UCI-Regeln untersagen bei der Mannschaftsverfolgung eine Berührung der Fahrer untereinander, wenn es auch Diskussionen darüber gab, wie der – in den damals nur auf Französisch vorliegenden Wettkampfregeln – Begriff pousser übersetzt werden solle: als berühren oder anschieben; erschwerend kam hinzu, dass keiner der westdeutschen Funktionäre vor Ort Französisch beherrschte. Im November 1968 entschied der Weltradsportverband für Amateure Fédération Internationale Amateur de Cyclisme (FIAC), der für die Durchführung der Radsportwettbewerbe bei Olympischen Spielen zuständig war, auf Vorschlag der eingesetzten Sonderkommission gegen die Stimmen der Vertreter aus der Sowjetunion, Algeriens und der DDR, den Fahrern des westdeutschen Bahnvierers die Silbermedaille zuzuerkennen.[6] Die Übergabe erfolgte im Rahmen der Querfeldein-Weltmeisterschaften im Februar 1969 in Magstadt. Kilian bezeichnete den DDR-Wettkampfrichter Gallinge bis an das Ende seines Lebens als „Golddieb“.[4]

Weblinks

  • Renate Franz: „Der größte Betrug aller Zeiten“ – Wie der Bahnvierer bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko Gold verlor. In: Cycling4Fans. 17. April 2015, abgerufen am 18. April 2015. 

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. Zum Beispiel bei der Ehrung mit dem Goldenen Band der Sportpresse, s. Originals vom 4. März 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.vds-berlin.de
  2. Der Begriff Goldvierer wurde auch in der Folge für erfolgreiche deutsche Bahnvierer verwendet, z. B. für die Olympiasieger von 2000, vgl. radsport-news.com vom 28. September 2000: Gold-Vierer startet bei der Hessen-Rundfahrt
  3. radsport-news.com 20. Oktober 2010: «Sechstagekaiser» Gustav Kilian gestorben
  4. a b c Renate Franz: Wie der Bahnvierer bei Olympia 1968 in Mexiko Gold verlor. In: Verein Historische Fahrräder (Hrsg.): Der Knochenschüttler. Zeitschrift für Liebhaber Historischer Fahrräder. Band 56, Nr. 2, 2013, S. 14. 
  5. Renate Franz: Wie der Bahnvierer bei Olympia 1968 in Mexiko Gold verlor. In: Verein Historische Fahrräder (Hrsg.): Der Knochenschüttler. Zeitschrift für Liebhaber Historischer Fahrräder. Band 56, Nr. 2, 2013, S. 12. 
  6. Bund Deutscher Radfahrer (Hrsg.): Radsport. Nr. 49/1968. Deutscher Sportverlag Kurt Stoof, Köln 1968, S. 7. 

1962 Deutschland Bundesrepublik Rudolph / Rohr / May / Claesges | 1963 Sowjetunion 1955 Belgardt / Tereschtschenkow / Moskwin / Romanow | 1964 Deutschland Bundesrepublik Claesges / Link / Henrichs / Streng | 1965 Sowjetunion 1955 Moskwin / Tereschtschenkow / Koljuschew / Wukolow | 1966 Italien Chemello / Castello / Roncaglia / Pancino | 1967 Sowjetunion 1955 Moskwin / Koljuschew / Bykau / Lācis | 1968 Italien Chemello / Bosisio / Morbiato / Roncaglia | 1969 Sowjetunion 1955 Moskwin / Kusnezow / Bykau / Kuskow | 1970 Deutschland Bundesrepublik Haritz / Hempel / Vonhof / Claußmeyer | 1971 Italien Algeri / Bazzan / Morbiato / Borgognoni | 1973 Deutschland Bundesrepublik Schumacher / Vonhof / Lutz / Haritz | 1974 Deutschland Bundesrepublik Schumacher / Vonhof / Lutz / Thurau | 1975 Deutschland Bundesrepublik Schumacher / Vonhof / Lutz / Braun | 1977 Deutschland Demokratische Republik 1949 Dürpisch / Mortag / Wiegand / Winkler | 1978 Deutschland Demokratische Republik 1949 Unterwalder / Mortag / Wiegand / Winkler | 1979 Deutschland Demokratische Republik 1949 Haueisen / Mortag / Grosser / Winkler | 1981 Deutschland Demokratische Republik 1949 Macha / Dittert / Grosser / Winkler | 1982 Sowjetunion Chrabzow / Krasnow / Mowtschan / Nikitenko | 1983 Deutschland Bundesrepublik Gölz / Günther / Strittmatter / Marx | 1985 Italien Amadio / Brunelli / Grisandi / Martinello | 1986 Tschechoslowakei Soukup / Trčka / Buchta / Černý | 1987 Sowjetunion Jekimow / Krasnow / Manakow / Chmelinin | 1989 Deutschland Demokratische Republik 1949 Blochwitz / Wolf / Liese / Fulst | 1990 Sowjetunion Baturo / Bersin / Neljubin / Gontschenkow | 1991 Deutschland Glöckner / Steinweg / Lehmann / Walzer

Weitere Ergebnisse siehe unter Weltmeister in der Mannschaftsverfolgung (Elite)

1908 Vereinigtes Konigreich 1801 Jones / Kingsbury / Meredith / Payne | 1920 Italien 1861 Magnani / Carli / Ferrario / Giorgetti | 1924 Italien 1861 De Martini / Dinale / Menegazzi / Zucchetti | 1928 Italien 1861 Facciani / Gaioni / Lusiani / Tasselli | 1932 Italien 1861 Pedretti / Borsari / Cimatti / Ghilardi | 1936 Dritte Französische Republik Le Nizerhy / Charpentier / Goujon / Lapébie | 1948 Dritte Französische Republik Decanali / Adam / Blusson / Coste | 1952 Italien Morettini / Campana / De Rossi / Messina | 1956 Italien Gasparella / Domenicali / Faggin / Gandini / Pizzali | 1960 Italien Vigna / Arienti / Testa / Vallotto | 1964 Deutschland Mannschaft Gesamtdeutsch Streng / Claesges / Henrichs / Link | 1968 Danemark Lyngemark / Olsen / Asmussen / Frey / Pedersen | 1972 Deutschland Bundesrepublik Schumacher / Colombo / Haritz / Hempel / Vonhof | 1976 Deutschland Bundesrepublik Vonhof / Braun / Lutz / Schumacher | 1980 Sowjetunion 1955 Manakow / Mowtschan / Ossokin / Petrakow / Krasnow | 1984 AustralienAustralien Grenda / Turtur / Nichols / Woods | 1988 Sowjetunion Jekimow / Kasputis / Neljubin / G. Umaras / M. Umaras | 1992 Deutschland Fulst / Glöckner / Lehmann / Steinweg / Walzer | 1996 FrankreichFrankreich Capelle / Ermenault / Monin / Moreau | 2000 Deutschland Fulst / Bartko / Becke / Lehmann / Pollack | 2004 AustralienAustralien Brown / Dawson / Lancaster / McGee / Roberts / Wooldridge | 2008 Vereinigtes KonigreichVereinigtes Königreich Clancy / Manning / Thomas / Wiggins | 2012 Vereinigtes KonigreichVereinigtes Königreich Burke / Clancy / Kennaugh / Thomas | 2016 Vereinigtes KonigreichVereinigtes Königreich Burke / Clancy / Doull / Wiggins | 2020 ItalienItalien Consonni / Ganna / Lamon / Milan

Mannschaft des Jahres (Deutschland)

1947–1956: nicht vergeben | 1957: Borussia Dortmund | 1958: Leichtathletik-Nationalmannschaft | 1959: Deutschland-Achter | 1960: Deutschland-Achter | 1961: 1. FC Nürnberg | 1962: Ratzeburger Ruder-Achter | 1963: Hockeynationalmannschaft der Herren | 1964: Vierer mit Steuermann des Berliner Ruder-Club | 1965: Leichtathletik-Nationalmannschaft | 1966: Fußballnationalmannschaft der Herren | 1967: FC Bayern München | 1968: Deutschland-Achter | 1969: Springreiter-Equipe | 1970: Fußballnationalmannschaft der Herren | 1971: Borussia Mönchengladbach | 1972: Hockeynationalmannschaft der Herren | 1973: Bahnrad-Vierer | 1974: Fußballnationalmannschaft der Herren | 1975: Borussia Mönchengladbach | 1976: Bahnrad-Vierer | 1977: Florett-Nationalmannschaft | 1978: Handballnationalmannschaft der Herren | 1979: TV Großwallstadt | 1980: Fußballnationalmannschaft der Herren | 1981: Wasserballnationalmannschaft der Herren | 1982: 4 × 400-m-Staffel der Herren | 1983: VfL Gummersbach | 1984: Degen-Nationalmannschaft | 1985: Davis-Cup-Mannschaft | 1986: Degen-Nationalmannschaft | 1987: Fed-Cup-Mannschaft | 1988: Deutschland-Achter | 1989: Deutschland-Achter | 1990: Fußballnationalmannschaft der Herren | 1991: 1. FC Kaiserslautern | 1992: Hockeynationalmannschaft der Herren | 1993: Basketballnationalmannschaft der Herren | 1994: Skisprung-Nationalmannschaft | 1995: Borussia Dortmund | 1996: Fußballnationalmannschaft der Herren | 1997: Team Telekom | 1998: 1. FC Kaiserslautern | 1999: Skisprung-Nationalmannschaft | 2000: Bahnrad-Vierer | 2001: FC Bayern München | 2002: Fußballnationalmannschaft der Herren | 2003: Fußballnationalmannschaft der Damen | 2004: Hockeynationalmannschaft der Damen | 2005: Basketballnationalmannschaft der Herren | 2006: Fußballnationalmannschaft der Herren | 2007: Handballnationalmannschaft der Herren | 2008: Hockeynationalmannschaft der Herren | 2009: Fußballnationalmannschaft der Damen | 2010: Fußballnationalmannschaft der Herren | 2011: Borussia Dortmund | 2012: Deutschland-Achter | 2013: FC Bayern München | 2014: Fußballnationalmannschaft der Herren | 2015: Nationalmannschaft der Nordischen Kombinierer | 2016: Laura Ludwig und Kira Walkenhorst | 2017: Laura Ludwig und Kira Walkenhorst | 2018: Eishockeynationalmannschaft der Herren | 2019: Skisprung-Nationalmannschaft der Herren | 2020: FC Bayern München | 2021: Bahnrad-Vierer der Frauen | 2022: Eintracht Frankfurt | 2023: Basketballnationalmannschaft der Herren